zur Erinnerung
30 Jahre Deutsche Einheit, Zeit für eine Zwischenbilanz

Nachgefragt

So sehe ich das!

Heute antworten: Ellen, 81, und Klaus Eichentopf, 84, Zwickau (Sachsen)

Welche Begriffe verbinden Sie mit der DDR?
Materielle Sicherheit, aber Mangelversorgung, niedrige Mieten, aber nervendes Warten auf einen Trabant. "Bau auf, bau auf...": Nach anfangs großer, jugendlicher Hoffnung wurde bald klar, dass wir in "Zeiten des abnehmenden Lichts" wohnen. So heißt ein Buch von Eugen Ruge.

Was hat Ihr Leben bis 1989 geprägt?
Wir hatten einen sicheren Arbeitsplatz bei Wohlverhalten und Angepasstheit. Es gab keine Reisefreiheit. Dennoch lebten wir ein glückliches Leben in der Familie, machten das Beste draus.

Wie verbrachten Sie Ihre Freizeit?
Erholung fanden wir in unserer Nische im Kleingarten, den wir durch Beziehungen ergattert hatten. Wir hatten alljährlich einen sehr preiswerten Urlaub im Inland, den uns die betriebliche Vergabekommission zusprach.

Welchen Beruf haben Sie gelernt?
Wir waren Lehrer, ich für Russisch und Englisch, meine Frau Ellen für Deutsch. Ich hatte wiederholt Gelegenheit zur Weiterbildung und Dienstreisen in die Sowjetunion. In ein englischsprachiges Land kam ich vor der Wende aber nicht.

Wovon träumten Sie?
Unsere Träume waren Reisen in andere Länder und lesen können, was wir wollen.

Wo waren Sie, als Sie vom Mauerfall erfuhren?
Wir haben keine genaue Erinnerung. Wir hatten nicht mehr daran geglaubt. Sehr gut erinnern wir uns an die Zeit danach mit all ihrer Dynamik.

Was haben Sie vom Begrüßungsgeld gekauft?
Neben ein paar Südfrüchten kaufte ich das Buch "Schwierigkeiten mit der Wahrheit" von Walter Janka. Eine Bekannte hatte mehrfach versucht, es uns aus der BRD zu schicken. Es kam nie an.

Welche Meinung hatten Sie zur Wiedervereinigung? Und heute?
Den Mauerfall empfanden wir als Befreiung von Einschränkungen aller Art. Problematischer war die Wiedervereinigung, da sie viele Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten mit sich brachte, die verkraftet werden mussten. Heute sind wir Rentner in einem Land mit weitgehend demokratischen Strukturen, die aber immer wieder gefährdet sind.

Wie ging es nach 1990 beruflich für Sie weiter?
Ich war 53 Jahre zur Wende. Ich arbeitete zu dieser Zeit seit Jahren an der Pädagogischen Hochschule Zwickau, bildete angehende Lehrer aus. Doch Russisch war auf einen Schlag nicht mehr gefragt. Ich musste mich ins Englische reinknien, das zuvor nur eine Nebenrolle gespielt hatte. Mir fehlte die Praxis und die wissbegierigen Schüler brauchten nun gute Englischlehrer. Nach diesen Umbrüchen ging ich schon 1992 in den sogenannten Altersübergang. Ich konnte mich bei auskömmlicher Rente meinen Interessen - Reise, Literatur, Schreiben - widmen. Meine Frau blieb noch sieben Jahre als Deutschlehrerin im Beruf.

Was hätten Sie ohne Wende nie kennengelernt?
Wir hatten nie den Eiffelturm oder die Rialtobrücke gesehen. Wir wären nie die norwegische Küste entlanggefahren, noch nicht einmal das Buddenbrookhaus in Lübeck hätten wir gesehen. Meine Frau, die in Kielgeboren ist, freute sich, die Flottenparade zur Kieler Woche zu erleben.

Welchem Ostprodukt sind Sie treu geblieben?
Wir kaufen Spreewälder Gurken, Bautz'ner Senf, Fit. Der Supermarkt heißt noch oft Kaufhalle.

Heft 01/2021


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 22.01.2023 - 11:08